Foto: Miguel Bruna

Er ist der wichtigste Feiertag des Landes, inzwischen sogar Lateinamerikas: Der Dias de Muertos, der Tag der Toten feiert auch das Leben.

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4/2021

Wenn Katholiken an Allerheiligen in aller Stille die Gräber ihrer Verstorbenen heimsuchen, tobt auf den Friedhöfen Mexikos das Leben: Mit Umzügen, Partys, Kostümierungen und Musik feiern die Mexikaner den „Dias de Muertos“, den Tag der Toten. Skelette und maskierte Schädel tanzen durch Straßen und Gassen, die Menschen tragen ihren Verstorbenen liebevoll Speisen und sonstige Gaben an die Gräber, gern bei zitterndem Kerzenschein. Die Rituale demonstrieren die Gleichwertigkeit von Leben und Tod, letzterer ist hier so heilig wie die Geburt.
Juanita starb, weil sie zu viele Drogen konsumierte – ihre Familie kann ihr das nicht verzeihen. Doch am Tag der Toten, so will es der Brauch, müssen die Angehörigen sich mit den Seelen ihren Angehörigen versöhnen, ganz gleich, was im irdischen Leben geschah.
Auf den Straßen bauen sie Ofrendas auf: blumengeschmückte Altäre mit den Fotos der Toten und all jenen Dingen, die sie im Jenseits vermissen könnten, vor allem kulinarische Köstlichen. Catrina, einer von Künstlern erschaffenen Figur, die zur Königin des Tags der Toten wurde, ist ein ganzer Umzug gewidmet, bei dem Mädchen und Frauen sich als Skelette verkleiden.
Mit dem aus dem Angelsächsischen stammenden „Halloween“ hat der Festtag nichts zu tun: Halloween kam als Nacht des Schreckens und des Unheils über die Menschheit und unterstreicht den in unseren Breiten beliebten Gruselfaktor. Der „Dias de Muertos“ feiert auch das Leben – mit einer Explosion der Farben und Gesänge. Er geht zurück auf die Kultur der Azteken und Tolketen, die das Betrauern ihrer Verstorbenen als respektlos empfanden. Die Toten galten weiterhin als Mitglieder der Gemeinschaft, man erhielt sie im Geiste am Leben. Heute haben die Feierlichkeiten zum „Dias de Muertos“ sich zu einer Mischung aus prä-hispanischen und christlich-religiösen Elementen entwickelt. Die Menschen verehren an diesem Tag besonders „Santa Muerto“, jene okkulte Heilige, mit der die katholische Kirche sich so gar nicht anfreunden kann. Die Skelettfrau, eingehüllt in ein zartrosa Kleid, hält in der rechten Hand eine große Sense, die linke hat sie einladend ausgestreckt. Sie zieht in etlichen Kapellen und Kirchen des Landes Gläubige an, und die meisten Pfarrer beziehen sie, trotz des Widerwillens aus Rom, ganz selbstverständlich in ihre Gottesdienste ein. Figuren der „Santa Muerte“ sind beim Tag der Toten in allen Größen und Farben zu bestaunen.
„Wir müssen uns gut mit ihr stellen,“ ruft ein schaurig kostümierter junger Mann in der Menge. „Sie ist die einzige, die uns ganz sicher eines Tages holen kommt.“
In Mexiko, das ist nicht zu übersehen, ist der Tod weiblich. //